Fundstück der Woche 25/2016 Lose Nieten an Nocke

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chäffe
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Fundstück der Woche 25/2016 Lose Nieten an Nocke

Beitrag von chäffe »

2,4L Rumpfmotor eines unbekannten Erbauers.

Wir haben einen Motor zur Durchsicht rein bekommen.
Der Motor wurde angeblich neu aufgebaut und hat gut Leistung gebracht. Von knapp 180PS war die Rede. Nach dem letzten sportlichen Einsatz lief er angeblich nicht mehr richtig rund und wir sollten eventuell nur mal nach dem Rechten sehen, nicht, dass da noch etwas kaputt geht.

OK, wir haben zwar eigentlich zu viel zu tun und sind völlig ausgelastet, aber als der Kunde mit dem ausgebauten Motor vor uns stand und in partout nicht wider mitnehmen wollte, haben wir uns der Sache angenommen…..

Normaler Weise sind die Beiträge in der Rubrik „Fundstück“ der Woche recht kurz und beeindrucken mehr durch Bilder und kurzen Texten.

Dieses Fundstück, oder besser gesagt „Goldstück“ verdient aber einen etwas längeren Beitrag.
Warum? Weil der Motor wirklich mit viel Geld (unfachgerecht) aufgebaut wurde und viel, sehr viel Geld binnen kürzester Zeit verbrannt wurde.
Zurück zum Fundstück:
Bei der Demontage viel auf, dass mit Unmengen Silikondichtmittel der Motor zusammen geklebt wurde. Die Zylinderunterbleche, die Stößelschutzrohre, alle Schrauben usw, waren total verklebt.
Anscheinend hat das alles nichts geholfen, da der Motor immer noch tropfte wie ein Kieslaster.
Die Demontage gestaltete sich also langwierig und Zeitraubend. Wir sollten ja nur mal nach dem Rechten sehen und wollten nichts beschädigen.
Als Die Köpfe dann endlich demontiert waren, fanden sich die ersten Auffälligkeiten.
Ölkohle
Ölkohle
Die Brennräume hatten massiv Ölkohle angesetzt. Bei genauer Betrachtung vielen auch Abschmelzungen am Auslassventilsitzring auf.
Ausgebrannte Sitzringe
Ausgebrannte Sitzringe
Die Köpfe waren eigentlich recht gut gemacht, hatten sicherlich eine geringe Laufleistung von wenigen 100Km so wie auch der ganze Motor.

Nun galt der kritische Blick den Kolben. Es waren leichte Abdrücke von den Ventilen sichtbar. Die Ventile haben also leicht auf die Kolben aufgeschlagen. Somit sind die Ventile auch krumm, ohne sie näher betrachtet zu haben.
Ventiltreffer auf dem Kolben
Ventiltreffer auf dem Kolben
Beim Messen des Kolbenrückstandes vor der Demontage der Zylinder viel auf, dass die Kolben nicht nur erheblich kippten, sie ließen sich auch leicht verdrehen!
Ja, richtig gelesen. Die Kolben konnten ca. 3mm hin und her gedreht werden. Alle Kolben und nicht nur einer. So etwas war neu im Fundstückthema.
Drehbarer Kolben
Drehbarer Kolben
Die Zylinder wurden demontiert, was auf Grund der massiv eingesetzten Silikondichtmasse auch kein Vergnügen war. Was hat den Motorenbauer da bloß geritten?
Die Zylinder waren blank poliert und vereinzelt Riefen.
Polierte Zylinder
Polierte Zylinder
Nun, zur Frage der drehenden Kolben. Die Kolbenbolzen ließen sich mit leichtem Kraftaufwand heraus drücken. Dann kamen sie zum Vorschein, die Verdrehmöglichkeit der Kolben.
Die Kolbenbolzen hatten Stufen.
Stufenbolzen
Stufenbolzen
Da die Stufen so gleichmäßig waren, hatte es zuerst den Anschein eines Geniestreiches des Motorenbauers. ???!!!!!?
Schnell wurde jedoch klar, das es unmöglich Absicht war ;-( Was hatte die Kolbenbolzen in ihrem jungen Leben derartig beschädigt oder abgeschliffen?
Minus-Bolzen
Minus-Bolzen
Die Kolbenbolzen waren ursprünglich 22mm dick und fast gleichmäßig auf 2/10mm dünner geschliffen.
Eine Härteprüfung ergab, dass es an mangelnder Qualität des Bolzens nicht gelegen haben konnte.
Bei dem Anblick wurde auch klar, dass der Motor bestimmt nicht nur etwas unrund gelaufen sein konnte, sondern massiv und sehr laut geklappert haben musste. Ein Kolbenbolzenspiel von 5/100mm ist deutlich hörbar. Bei 7-8 hundertstel mag man den Motor nicht mehr starten. Zwei Zehntel mm kann man nicht überhören, zumal auch die Kolben gegen die Ventile geklatscht haben.
Also weiter mit der Ursachenforschung.
Die Kurbelwelle war auch deutlich eingelaufen.
Kurbelwelle eingelaufen
Kurbelwelle eingelaufen
Die Pleuel hatten deutliches Spiel und die Hauptlagerstellen waren gleichmäßig rund mit Absätzen fast 2 Zehntel mm runter. Die Pleuelaugen haben Überhitzungen.
Heiße Pleuelaugen
Heiße Pleuelaugen
Bei sandigen Verunreinigungen sieht man eigentlich deutliche Riefen an allen Bauteilen. Hier waren aber alle Bauteile runter geschliffen mit glänzender, ja polierter Oberfläche.

Die Nockenwelle sah eigentlich gut aus. Nur als sie aus den Lagern genommen wurde, viel das NW-Rad ab. Es ist eine Nockenwellen deutscher Herkunft mit genietetem Nockenwellenrad. Die Nieten waren jedoch auf der Rückseite bündig und nicht vernietet!!! Warum?
Schleifende Nockenwellennieten
Schleifende Nockenwellennieten
Die Nieten sind dann Richtung Ölpumpe gewandert und wurden regelrecht abgeschliffen.
Ölpumpe beschädigt
Ölpumpe beschädigt
Dieser Schleifstab, Nietenabrieb und Ölpumpenabrieb wurden durch den ganzen Motor gepumpt.
Das Motoröl hat mit dem Abrieb eine Art Schleifpaste gebildet und alles mit ins Verderben gerissen.
Einen Schaden dieses Ausmaßes in so kurzer Zeit hatte ich zuvor noch nicht gesehen.
Eigentlich hätte der Ölfilter die Rückstände herausfiltern müssen. Eigentlich hätten die Schleifgeräusche der Nockenwelle an der Ölpumpe gehört werden müssen, eigentlich hätten die Späne im Öl beim Ölwechsel stutzig machen müssen. Auch hätten die ersten Klappergeräusche bei 500dertstel Kolbenbolzenspiel schon abschrecken müssen und auch der Öldruck bei 2 zehntel Kurbelwellenuntermaß plus 2,5 zehntel ausgelaufenen Lagerschalen kann nicht mehr gut gewesen sein.

Fakt ist:
Der Motor ist an allen Bauteilen erheblich beschädigt, was im einzelnen so aussieht.
Das Nockenwellenrad war lose. Die Nieten haben die Ölpumpe beschädigt. Die Nockenwelle und das Rad sind defekt.
Die Ölpumpe wurde abgeschliffen und die Späne haben die Zahnräder beschädigt.
Die Kurbelwelle ist eingelaufen an allen Lagerstellen. Alle Lager und die Kurbelwelle sind defekt.
Die schönen erleichterten und polierten Pleuel wurden am Pleuelauge überhitz. Sie haben goldbrauche Anlauffarben.
Die Pleuelbuchsen sind defekt.
Die Kolben und Zylinder sind riefig und haben fast 3,5zehntel mm Laufspiel.
Die Stößel ( 54g aus deutscher Herstellung und sau teuer) sind am Teller, so wie auch am Schaft eingelaufen.
Die Stößelbuchsen, welche aufwendig in den Block eingesetzt wurden sind beschädigt. Da diese fast nicht wieder zu entfernen sind, ist dar Motorblock hier auch nachhaltig beschädigt.
Die Zylinderköpfe waren recht aufwendig und hochwertig gefertigt. Große Ventile, bearbeitete Kanäle, aufgeschweißte Entlüfterstutzen, Kugelfußeintesllschrauben usw sind auch beschädigt.
Die Kugelfüße haben deutlich Spiel, die Kipphebel und ihre Kipphebelwellen sind eingelaufen. Die Ventile sind krumm vom Kolbenkontakt.
Schade.!!!
Der Motor wurde wirklich mit sehr hochwertigen und teuren Komponenten gebaut.
So viel Schaden in so kurzer Zeit ist mit Abstand der grausigste Fund.

Wie hoch waren die Baukosten und wie hoch ist der Schaden?
Um es vorweg zu nehmen: Totalschaden mit Ausnahme des Schwungrades, der Riemenscheibe und des Verteilerantriebes.
Obwohl wir zuvor keine Anteile an dem Projekt hatten konnten doch die meisten Komponenten aus diesem Motor ihre Herkunft nicht verleugnen. Wir können auch recht eindeutig deren Kaufpreis bzw Bearbeitung rekonstruieren.
Vermutliche Herstellungskosten dieses Rumpfmotors:
- Motorgehäuse fräsen für Porschegebläse inkl. Aluauflage 160,-
- Motorgehäuse bohren für 103mm Zylinder dreistufig 120,-
- Motorgehäuse innen verrunden um Pumpverluste zu verringern 180,-
- Bronze- Stößelbuchsen einsetzen 225,-
- Schwungrad erleichtern und mit Nadellager versehen im AT 180,-
- Schwungrad und Kurbelwelle wuchten 155,-
- Nockenwelle Ro209 inkl Nockenwellenrad 430,-
- Stößel 54g Aufpreis 250,-
- Kolben und Zylinder geschmiedet ACCRALITE 103x71 mit leiten 22mm Bolzen 1450,-
- Pleuel erheblich erleichtert gestrahlt poliert mit 22mm Buchse im AT 495,-
- Ölpumpe verstärkt CNC gefertigt deutsch 295,-
- Kurbelwelle 2,0L gerichtet vermessen im AT 240,-
- Zylinderköpfe VW Typ4 CJ 47/40mm Ventilbestückung inkl. Saugrohranpassung,
- Entlüfterstutzen 1580,-
- Ventilfedern verstärkt Typ4 deutsche Version 200,-
- Ventilfederteller Chromo HD 98,-
- Ventileinstellschrauben HD M8 deutsche Version Typ/Porsche 914 198,-
- Muttern für Ventileinstellschrauben M8 5,36
- Kipphebelwellen inkl Kipphebel M8 Gewinde im AT 245,-
- Stößelstangen Alu 98,-
- Altmotor 2,0L als AT-Teilgewinnung ca. 400,-
- Stößelschutzrohre schwarz kunsstoffbeschichtet 120,-
- Motordichtsatz inkl Simmeringe 75,-
- Ausgleichsscheiben 12,-
- X.X.X Spezial Schwungradschrauben 85,-
-
Summe der Materialien ohne die ca. 2Kg Silikon 7247,36
Die Montagekosten sind hier nicht kalkuliert, da nicht davon auszugehen ist, dass eine Firma
Diese edlen Brocken zusammen geklebt hat.
Zuletzt geändert von chäffe am So 4. Jun 2017, 18:45, insgesamt 1-mal geändert.
Meinungsaustausch ist,
wenn man mit seiner eigenen Meinung zum Chef geht, und mit dessen Meinug zurück kommt.

gut, daß ich hier der Chäffe bin ;-)
Christian
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Registriert: So 28. Jun 2015, 08:29
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Re: Fundstück der Woche 25/2016

Beitrag von Christian »

Meine Güte....da wär ich ja gern dabei wenn Du dem >Besitzer das Urteil verliest...
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