Fundstück der anderen Art. Flachliteratur

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chäffe
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Fundstück der anderen Art. Flachliteratur

Beitrag von chäffe »

Fundstück der Woche 39/2016
Es ist ein Fundstück der anderen Art.

Angeregt durch einige Kundenanrufe habe ich mir eine beliebte und weit verbreitete Oldtimerzeitschrift mal etwas näher angesehen. Es ist eines von mehreren Blättle, welche ich auch immer sehr gerne lese. In loser Folge erscheinen Reparaturtipps oder vermeintliche Profireparaturstorys. Einige davon sind wirklich sehr informativ, wenige sind hilfreich und bei dem ein oder anderen Bericht muss man schon schmunzeln. ;)
Das ist sicherlich bei vielen Berichten so, die von echten Insidern gelesen werden. Einige greifen zur Tastatur und in der Folge darauf werden dann Leserbriefe veröffentlicht.
OK, es kann nicht jeder ein Profi sein und so mancher Bericht wird mehr oder weniger von begeisterten Redakteuren selber verfasst. Das ist gut und schön so, hilft es doch den meisten Lesern ein wenig über die jeweilige Materie zu erfahren.
Hier möchte ich dennoch anhand von Bildern zeigen, wie man es eventuell nicht machen sollte, bzw. dass man auch mal über die Richtigkeit von so manchem Artikel nachdenken könnte.
Als Beispiel ist hier ganz bewusst ein sehr nachvollziehbare Artikel zur Revision eines sehr weit verbreiteten Solex-Vergasers genommen.
Es wird in dem Bericht dazu animiert, selber so ein kleines technisches Werk zu zerlegen und zu überholen. Ein Vergaser ist sicherlich in seinen Bauteilen nicht zu komplex, als dass man es nicht überschauen könnte, dennoch ist der Zusammenbau und ganz besonders die Einstellung bestimmt nichts für Gelegenheitsschrauber oder gar Anfänger. Selbst gute Mechaniker sind nicht unbedingt mit allen Bauteilen, ihren Funktionen und Wirkungsweise der einzelnen Vergaserteile vertraut.
Wenn jedoch schon die Bezeichnung der einzelnen Vergaserteile schlichtweg falsch sind und dazu die Funktionen falsch erklärt werden, dann kann der geneigte Leser sicherlich nicht viel Hilfreiches damit anfangen.
Es lässt auch ein wenig die Frage nach der Kompetenz des Schreibers oder gar Vergaserspezies aufkommen.
Und los geht es:
Hier werden erst einmal verschiedene Bauteile nummeriert und benannt. Jeder, der sich nur ein wenig mit Vergasern befasst hat wird schnell merken, oder recherchieren können, dass da wohl etwas nicht stimmen kann. Wäre dieser Artikel zur Märzausgabe erschienen, dann könnte man es ja als Scherz verstehen.
falsche Beschreibung Solexvergaser. Die Quelle ist hier aus Rücksicht nicht angegeben, dem Verfasser jedoch bekannt und kann gerne auf schriftliche Anfrage beantwortet oder auf Wunsch des Herrausgebers benannt werden.....
falsche Beschreibung Solexvergaser. Die Quelle ist hier aus Rücksicht nicht angegeben, dem Verfasser jedoch bekannt und kann gerne auf schriftliche Anfrage beantwortet oder auf Wunsch des Herrausgebers benannt werden.....

1. Schwimmerkammerbelüftung und kein Entlüftungsrohr für Venturi !
2. Vergaser Einlauf, das Venturi sitzt weit unterhalb der Kaltstartklappe und verjüngt dort den Querschnitt, damit überhaupt eine Venturieffekt entstehen kann.
3. Schwimmerkammerdeckel, die Schwimmerkammer ist darunter
4. Benzineinlass ist OK
5. Umluftschraube mit der u.a. das Standgas eingestellt werden kann.
6. Ablauf Schwimmerkammer ist OK
7. Leerlaufabschaltventil. Es hat nichts mit dem Kaltlauf zu tun, sondern soll das „nachdieseln“ des Motors bei abgeschalteter Zündung verhindern. Es ist entgegen der Beschreibung sehr häufig defekt und führt dazu, dass der Motor kein Standgas hält. Sehr häufig beherbergt dieses elektrische Ventil auch die Leerlaufdüse, welche ebenfalls als kleinste Düse im Vergaser häufig verstopft.
8. Gemischeinstellscharube ist OK. Sie beeinflusst das Gemisch jedoch nur imm Standgas und unterem Teillastbereich bis ca. 1500U/min
9. Das ist keine Benzinspritzdüse, sondern das Einspritzröhrchen der Beschleunigerpumpe.
10. Es ist keine Drosselklappe, sondern die Kaltstartklappe oder altmodisch Chokeklappe genannt, sofern keine elektrische Betätigung vorhanden ist. Die Drosselklappe ist ganz unten am Vergaser und drosselt den Luftdurchsatz. Sie wir über das Gaspedal betätigt. Die Kaltstartklappe ist im kalten Betriebszustand dazu dar, das Gemisch fetter zu machen, in dem sie je nach Temperatur mehr oder weniger Querschnitt freigibt. Bei einigermaßen warmen Motor ist sie immer ganz geöffnet und hat keine weitere Funktion.
11. Das ist keine Drosselklappenpumpe. So etwas gibt es nicht. Entweder ist die Beschleunigerpumpe gemeint, welche jedoch im nicht sichtbaren Bereich im hinteren Teil des Vergasers sitz und beim Beschleunigung über Punkt 9 das Gemisch anreichert. Viel mehr handelt es sich hier um eine Pulldown Membran, welche obwohl der Motor kalt ist und die Kaltstartklappe eigentlich zu sein müsste sie dennoch unter Vollgas etwas öffnet, damit der Motor nicht gänzlich überfettet und absäuft.
12. Es ist kein Thermoregler für eine Drosselklappenpumpe. So etwas gibt es auch nicht. Viel mehr handelt es sich um eine Bimetall-Feder, welche die Kaltstartklappe bei kaltem Motor geschlossen hält und langsam durch elektrische Wärme analog zur gedachten Motortemperatur mehr Querschnitt frei gibt. Bei älteren Vergasern macht man dies manuell mit dem Choke-Zug. Bei Wassergekühlten Motoren ist diese Bimetallfeder mit dem Kühlkreislauf verbunden und steuert somit die Kaltstartklappe analog zur Motortemperatur.

OK, fast alle bezeichneten Bauteile wurden falsch benannt. Somit ist deren Funktion auch gänzlich anders.
Noch ein paar nützliche Hinweise. Die Drosselklappe und deren Welle sollte von Laien nicht demontiert werden. Der korrekte Sitz der Drosselklappe im Vergaser ist nicht so einfach zu ermitteln und nur etwas für Leute, die sich damit auskennen. Leien oder vermeitlich begabte Mechaniker können schwerlich den korrekten Spalt ermitteln.
Ferner wird empfohlen die Dichtungen ggf selber an zu fertigen. Das ist doch sehr schwer, da es sehr genau auf die dicke des Dichtpapieres und deren Durchlässe und Bohrungen ankommt.
Es gibt für fast alle gängigen Vergaser Überhol- und Dichtsätze für kleines Geld.
Schlussendlich wird das Glasperlenstrahlen für Perfekte Optik mit anschließendem durchblasen alle Kanäle empfohlen. Wer das zu ersten mal macht, kann den Vergaser gerne hinterher dem Entsorger zuführen.
Sicherlich ist das glasmehlstrahlen eines Vergasers möglich, es sollte jedoch von kundiger Hand gemacht werden und anschließend nicht nur durchgepustet werden.
Wer nur mal einen alten Vergaser zerlegen und optisch auffrischen möchte, kann mit diesem Artikel ganz gut etwas anfangen. Wer jedoch den Vergaser zum Betrieb seines Fahrzeuges verwenden möchte, dem sei der Rat gegeben nicht alle Bauteile hemmungslos heraus zu schrauben oder gar Dichtungen gegen Selbstgeschnitztes zu tauschen.

Abschließen:
Nicht alles was irgendwo geschrieben steht, muss man auch machen oder glauben. Auch dieser Artikel könnte gänzlich Falsch sein und nur zur Irreführung oder Belustigung dienen…
Es soll hier auf keinen Fall der Eindruck erweckt werden, man würde sich über Unzulänglichkeiten oder Fehler anderer lustig machen. Das ist mit nichten der Fall. Es soll ausdrücklich eine Hilfestellung sein für geneigte Selbermacher hier seinen eigenen Vergaser nicht zu ruinieren, oder nur dann zu revidieren, wenn man wirklich weiss was man tut.

Danke und Gruß,
chäffe
Meinungsaustausch ist,
wenn man mit seiner eigenen Meinung zum Chef geht, und mit dessen Meinug zurück kommt.

gut, daß ich hier der Chäffe bin ;-)
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