1-2-3-Ignition und seine Schauermärchen

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chäffe
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1-2-3-Ignition und seine Schauermärchen

Beitrag von chäffe »

Gerüchte und wilde Theorien rund um den -1-2-3-Ignition Zündverteiler im luftgekühlten Boxermotor Typ1 und Typ4

Die Foren und soziale Netzwerke sind voll mit wilden Theorien gegen den 1-2-3-Ignition Verteiler.

Hier möchte ich einmal ein paar Aussagen einiger selbsternannter Fachleute zitieren und entsprechende technische Hintergründe geben.

1. Der 1-2-3 Ignition kostet Leistung

Die Leistung eines Motors ist das Produkt aus Drehmoment und Drehzahl. die maximale Leistung eines Motors wir nahe seiner Höchstdrehzahl erreicht. Der Zündverteiler hat nicht nur die Aufgabe den Zündfunken zu verteilen, sondern auch den Zündzeitpunkt Richtung „Früh“ mit steigender Drehzahl zu verstellen. Die maximale Frühverstellung ist bei ca. 3200-3600U/min erreicht. Die maximale Leistung eines Motors wir jedoch erst bei deutlich über 4500 bis zu über 7000U/min bei Rennmotoren erreicht.
Da die Frühverstellung jedoch bereits bei spätestens 3600U/min erreicht ist, kann der 1-2-3-Ignition keinen Einfluss auf die maximale Leistung eines Motors haben. Weder negativ noch positiv.
Der Weg dahin, also von ca. Standgas bis zum ausgeregelten Punkt ist über die integrierten elektronischen Zündkurven geregelt. Er unterliegt keinem Verschleiß und keiner mechanischen Hysterese.

2. Der 1-2-3-Ignition ist eigentlich für wassergekühlte Motoren gebaut und wird bei Luftgekühlten Motoren so heiß, dass die Lötstellen schmelzen.

Nun, hier sind gleich zwei Fehlaussagen enthalten.
Der Erfinder des 1-2-3-Ignition ist ein Niederländischer Elektronik-Ing. Seine Frau hatte eine Ente (2CV) mit mangelhafter Zündung gefahren. Hierfür hat er einen elektronischen Zündverteiler entwickelt. So zu sagen der erste 1-2-3 Ignition ;-) Wir erinnern uns..... 2CV ist ein luftgekühlter Boxermotor ;-)
Die zweite Aussage ist sogar technischer Blödzinn. ähhh sorry Blödsinn :lol:
Lötzinn, (eine Legierung aus Blei, Zinn und Zusätzen), hat einen Schmelzpunkt zwischen 183°C und 260°C ( je nach Legierung). Der Zündverteiler ist am Motorblock montiert und nicht im Brennraum des Zylinderkopfes. Ein Motorblock der an der Stelle des Zündverteiler über 180°C erreicht, hat ein ganz anderes Problem. Er brennt wahrscheinlich gerade. :lol: (Spass bei Seite). Die Motorblocktemperatur erreicht an diesem Punkt nicht einmal die maximale Öltemperatur. Ein schmelzen von Lötzinn ist also nicht möglich.

3. Der 1-2-3 Verteiler verträgt sich nicht mit normalen Zündspulen.

Der 1-2-3-Verteiler kann mit jeder Art von Zündspulen betrieben werden. Er steuert genau wie ein Unterbrecherkontakt die Lade und Entladezeiten der Zündspule. Da der 1-2-3 Ignition eine Strombegrenzung hat, kann er sogar mit sehr niederohmigen Zündspulen betrieben werden.
Eine „normale“ Zündspule hat einen Widerstand von 3,5-15Ohm. Und eine Zündspannung zwischen 12.000 und 50.000 Volt.
Hochleistungszündspulen haben manchmal sogar unter 1 Ohm. Mit allen diesen Zündspulen läuft der 1-2-3-Ignition problemlos, da er eine Strombegrenzung hat.

4. Der 1-2-3 Ignition darf nicht mit Kupferkabeln verwendet werden. Der Verteiler funktioniert dann nicht.

Das ist auch widersinnig und technisch nicht möglich.
Der 1-2-3-Zündverteiler besteht im Grunde aus zwei unterschiedlichen Funktiongruppen.
Zum einen ist dort die elektronische Niederspannungssteuerung für die Zündspule. Hier wird mit recht hohem Aufwand der eigentliche Unterbrecherkontakt, die Fliehkraftverstellung und ggf die Unterdruckdose durch prozessorgesteuerte Elektronik übernommen.
Auf der anderen Seite haben wir die Hochspannungsgruppe. Diese besteht wie bei jedem konventionellem Zündverteiler aus einem Verteilerfinger und der Verteilerkappe.
Beide Baugruppen sind technisch unabhängig. Die elektronische Baugruppe steuert ausschließlich die Ladezeit und den Entladezeitpunkt der Zündspule. Der Hochspannungsteil übernimmt ausschließlich die Verteilung der Hochspannung, also des Zündfunkens.
Einzig (hauptsächlich) die Zündspule hat einen Einfluss auf die Höhe der Zündspannung. Der Zeitpunkt wird von dem Niedervoltbereich bestimmt. Es gibt keinerlei rückkoppelnde Funktion zwischen Hochspannungsgruppe und Steuerungselektronik.
Nun zu den Ausnahmen: Wenn Isolationen an der Zündspule und/oder den Kabeln defekt sind und es zu Hochspannungsüberschlägen kommt, dann kann dies auch zu Störungen der Steuerung führen.
Das sind jedoch Defekte, die bei jedem anderen Elektrischen oder Elektronischem System auch zu Fehlern führen wird. Hier spielt das Material der Hochspannungsableitung keine Rolle, sondern die Beschaffenheit der Leiterisolation, bzw der Hochspannungsstecker.


5. Der 1-2-3 Ignition geht schnell kaputt


Das ist auch nicht richtig. Der 1-2-3-Ignition ist seit vielen Jahren Kurzschlußfest und verpolungssicher. Er ist zu dem mit einer Strombegrenzung ausgestattet.
Richtig ist: Der 1-2-3-Ignition schaltet sich ab, wenn die Ladespannung auf Grund eines Defektes an dem Limaladeregler oder der Batterie deutlich über 15V geht. Das ist eine Schutzfunktion, damit die Elektronik keinen Schaden nimmt. Er funktioniert jedoch wieder fehlerfrei, wenn die Bordspannung zwischen 6V und 15V liegt.

6. Der 1-2-3- Ist teuer und nur Geldschneiderei


Das ist auch nicht richtig. Der 1-2-3-Ignition kostet in etwa genau so viel wie ein echter originaler VW- bzw Bosch-Zündverteiler. Nur kann jeder 1-2-3-Ignition mindestens 16 verschiedene frei wählbare Zündkurven. Er hat keine verschleißenden Kontakte oder verschleißenden Federn und mechanische Fliekraftgewichte. Wenn man jedoch 50 Jahre alte gebrauche mechanische Klapperteile zum Altteilwert mit Neuteilen vergleicht, dann stimmt die Aussage ;-)

7. Der 1-2-3 Ignition darf nur mit Distanzring verwendet werden, da sonst ein Motorschaden auftreten kann.

Das ist auch Blödsinn. Der 1-2-3-Ignition hat einen Universalfuß und ist ca. 5mm länger als ein Originalverteiler im Typ4 und Typ4 Motor. Unterhalb des Verteilers ist der Verteilerantrieb. Der Verteilerantrieb läuft auf Anlaufscheiben zum Gehäuse, welche die Reibung reduzieren soll. Die Verbindung von Zündverteiler zu Verteilerantrieb wird mittels zweier Nasen in einem Schlitz realisiert. Hierbei ist eine kleine Feder dafür montiert um den Verteilerantrieb immer unten zu halten.
Die Verteilerklemme arretiert den Verteiler für den eingestellten Zündzeitpunkt. Bei der Montage wird der Verteiler unten auf block gedrückt und die Klemme angezogen. An dem mechanischen Aufbau ( Anlaufscheibe-Verteilerantrieb-Feder) ändert sich nichts. Auch entsteht kein höherer Druck in Axialrichtung. Also kann der Motor auch keinen Schaden nehmen. Wird jedoch ein Abstandsring verwendet, so kann es vorkommen, dass die Verteilerklemme in die obere Nut des 1-2-3-Ignition rutscht und beim Anziehen der Schraube den Verteiler wieder nach oben zieht. Jetzt kann die Verrastung von Nasen und Nut auseinander rutschen und eine Funktionsstörung haben. Der Verteiler wird nicht mehr richtig mitgenommen, bzw kann der Verteilerantrieb hoch wandern. Jetzt ist ein Motorschaden möglich ;-)

8. Der 1-2-3 Ignition kann keine hohen Drehzahlen

Das ist falsch und auch schnell widerlegt. Was sind denn hohe Drehzahlen beim Käfermotor? Sind 6000, 7000 oder 8000U/min viel?
Dazu schauen wir mal über den Tellerrand. Der 1-2-3-Ignition wird auch im Porsche 911 mit 6 Zylindern verbaut. Diese Motoren drehen ab Werk auch gerne 7000U/min.
Da es 6 Zylinder sind und nicht nur 4 Zylindermotoren, so ist der Zeitabstand von Zündung zu Zündung noch kleiner. Ein 4-Zylindermotor müsste dann im Bereich um 10500 U/min drehen um an die kurzen Ladezeiten, bzw die hohe Schaltfrequenz eines 6 Zylindermotors bei 7000 U/min heran zu kommen. Auch dieses schafft der 1-2-3 Ignition. Und mal im Ernst, welcher Käfermotor ( Stößelstangenmotor) dreht schon 10500U/min?

Ein paar abschließende Worte:
Warum jemand solche Gerüchte und Geschichten ohne fundierte Fachkenntnisse in die Welt setzt ist nur zu spekulieren. Einige Zitate sind mir bekannt und ich kenne die Hintergründe.
Es fehlt häufig einfach an Fachkompetenz, gepaart mit Futterneid und dem Drang einfach zu allem seinen Senf abgeben zu müssen. Manchmal ist es aber auch einfach nur falsche Selbsteinschätzung.
Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, dann liegt es an der Badehose.
In diesem Sinne.... alles nicht so verbissen sehen, aber dennoch mal kritisch hinterfragen.

Ich hoffe die meisten Schauermärchen etwas beleuchtet zu haben.

Danke und Gruß,
chäffe
Meinungsaustausch ist,
wenn man mit seiner eigenen Meinung zum Chef geht, und mit dessen Meinug zurück kommt.

gut, daß ich hier der Chäffe bin ;-)
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